Geschäftsführerhaftung nach Insolvenzverschleppung

Persönliche Haftung auch nach Amtsniederlegung
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 23.07.2024 klargestellt, dass Geschäftsführer auch bei Verträgen persönlich für Insolvenzverschleppungsschäden haften können, die nach ihrem Ausscheiden abgeschlossen wurden (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2024 – II ZR 206/22).
1. Insolvenzantragspflicht nach § 15a Insolvenzordnung
Die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a Abs. 1 Insolvenzordnung zählt zu den zentralen Pflichten eines Geschäftsführers. Der Geschäftsführer muss die finanzielle Lage der Gesellschaft ständig beobachten. Es wird erwartet, dass jeder Geschäftsführer die Insolvenzgründe und die sich daraus ableitende Insolvenzantragspflicht kennt und befolgt. Daher ist eine Haftung auch bei fahrlässiger Unkenntnis möglich.
Zahlungsunfähigkeit (§17 Insolvenzordnung) liegt vor, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, ihre fälligen Verbindlichkeiten im Wesentlichen zu begleichen. In der Praxis wird dies angenommen, wenn mehr als 10 % der fälligen Verbindlichkeiten nicht bedient werden können und dies auch nicht innerhalb von drei Wochen erfolgen kann. Dies kann durch die Geschäftsführung überwacht werden, indem laufend ein Liquiditätsstatus oder Zahlungsstromanalysen erstellt werden.
Überschuldung (§ 19 Insolvenzordnung) besteht, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Diese Prüfung ist zweistufig. Sollte eine sogenannte positive Fortbestehensprognose vorliegen, liegt keine Überschuldung vor, auch wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Die Prognose fragt: Ist es überwiegend wahrscheinlich, dass das Unternehmen innerhalb eines Prognosezeitraums von 12 Monaten fortgeführt werden kann? Als Grundlage dieser Entscheidung muss eine Planungsrechnung erstellt werden, die insbesondere eine Finanz- und Liquiditätsplanung umfasst.
Die Pflicht aus § 15a Insolvenzordnung bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes (sogenannte Insolvenzreife) bedeutet für jeden Geschäftsführer: Ihm obliegt eine Kontroll- und Überwachungspflicht, sogar im Fall der Aufgabenteilung mit anderen Geschäftsführern. Selbst, wenn ein Geschäftsführer nicht für die Finanzen zuständig ist, befreit ihn das nicht von der Pflicht aus § 15a Insolvenzordnung und auch nicht von der damit verbundenen Haftung (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2018 – II ZR 11/17).
2. Haftungsfolgen
Verletzt der Geschäftsführer die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a Insolvenzordnung, riskiert er strafrechtliche Konsequenzen (§ 15a Abs. 4 Insolvenzordnung). Er haftet aber auch zivilrechtlich auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a Insolvenzordnung. Die schuldhafte Nichtbeachtung der Insolvenzantrags führt dazu, dass der Geschäftsführer für den Schaden haftet, der bei den Gläubigern im Vertrauen auf die Zahlungsfähigkeit entstanden ist (der sogenannte Insolvenzverschleppungsschaden). Alles, was die Gesellschaft nicht mehr zahlen kann, muss dann also der Geschäftsführer privat zahlen.
Bisherige zeitliche Begrenzung der Haftung
In dem vorliegenden Fall hatte das OLG München die Insolvenzverschleppung bejaht und dem Geschäftsführer die Haftung auferlegt – Allerdings nur für die Schäden, die während seiner Amtszeit bis zur Niederlegung seines Amts entstanden sind. Für einen nach Amtsniederlegung durch den neuen Geschäftsführer abgeschlossenen Vertrag lehnte es die Haftung aus § 15a Insolvenzordnung ab und stützte eine mögliche Haftung nur auf § 826 BGB, der weit höhere Haftungsanforderungen stellt.
Klarstellung durch den BGH
Der BGH hat diese Sichtweise in seinem Urteil vom 23.07.2024 zurückgewiesen. Der ausgeschiedene Geschäftsführer hafte „grundsätzlich auch für Schäden von Neugläubigern, die erst nach seinem Ausscheiden […] in vertragliche Beziehungen zur Gesellschaft getreten sind“, wenn die durch die Pflichtverletzung (Erklärung: Die Nichtstellung des Insolvenzantrags) geschaffene „Gefahrenlage im Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbesteht“.
Eine Unterbrechung des geschaffenen Risikos kommt laut BGH nur in Betracht, wenn sich das Risko der Pflichtverletzung nicht fortsetzt, also unterbrochen wird. Das ist nicht der Fall, wenn der neue Geschäftsführer keinen Insolvenzantrag stellt, sondern nur zum Beispiel dann, wenn die Gefahrenlage bereits wieder beendet war, also zwischenzeitlich keine Insolvenzreife vorlag.
Praktische Folgen für Geschäftsführer
Diese Entscheidung verschärft das Haftungsrisiko für Geschäftsführer erheblich. Nach dieser Entscheidung haftet der Geschäftsführer auch gegenüber neuen Gläubigern der Gesellschaft, die sich auf die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft verlassen haben. Der Geschäftsführer kann für Verträge haften, die erst nach seiner Amtsniederlegung abgeschlossen wurden, solange nur die Insolvenzreife fortbesteht.
Ein weiteres Problem: Sobald das Amt niedergelegt ist, hat der ehemalige Geschäftsführer überhaupt nicht mehr das Recht, einen Insolvenzantrag zu stellen (außer er hat selbst Forderungen gegen die Gesellschaft). Die Haftung lässt sich nach Niederlegung also nicht mehr beenden.
3. Handlungsempfehlung
Die Situation in der Praxis ist für den Geschäftsführer oft verzwickt. Die Gesellschaft befindet sich in der Krise. Die Gesellschafter halten eine Rettung aber noch für möglich und weisen den Geschäftsführer deshalb an, keinen Insolvenzantrag zu stellen. Der Geschäftsführer geht aber davon aus, dass er verpflichtet ist, einen Insolvenzantrag zu stellen und will diese Situation nicht weiter verantworten. Um eine Haftung gegenüber den Gesellschaftern zu vermeiden, wurde bisher oft geraten, das Amt niederzulegen.
Von der Amtsniederlegung zur Vermeidung der Haftung muss jetzt abgeraten werden.
Wenn zu diesem Zeitpunkt bereits die Insolvenzreife vorlag, haftet der Geschäftsführer nämlich auch nach Niederlegung des Amtes. Geschäftsführer sollten ihre Pflicht zur Insolvenzantragsstellung ernst nehmen, um ihr persönliches Haftungsrisiko zu vermeiden. In einer Krisensituation und zwischen unterschiedlichen Interessen sollte der Geschäftsführer durch Einholung von professioneller Beratung und eines schriftlichen Gutachtens zur Frage der Insolvenzreife seine eigene Haftung ausschließen. Ein solches Gutachten schließt grundsätzlich die persönliche Haftung aus, solange es methodisch korrekt erstellt wird.
Die laufende Überwachung der wirtschaftlichen Lage, eine fundierte Dokumentation und im Krisenfall ein rechtzeitig eingeholtes Sachverständigengutachten sind die entscheidenden Bausteine zur Haftungsvermeidung. Wer diese Sorgfaltspflichten ernst nimmt, schützt sich – auch über die Amtszeit hinaus.
Sie haben Fragen oder benötigen Unterstützung?

Oscar Silcher
Rechtsanwalt
Oscar.Silcher@auren.de
+49 711 997868 16

Dr. Robert Rek
Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Partner
robert.rek@auren.de
+49 711 997868 31