Umkleide-, Reinigungs- und Wegezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit

Umkleide- und Reinigungszeiten, aber auch innerbetriebliche Wegezeiten sind als „Arbeitszeit“ zu vergüten, wenn sie als „fremdnützig“ zu werten sind, also auf Anweisung und im Interesse des Arbeitgebers erfolgen.
Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft an die Leistung weisungsgebundener Arbeit an. Zur Arbeitsleistung zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der Arbeitstätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Hierzu gehört auch das vom Arbeitgeber angeordnete Umkleiden im Betrieb. In einem solchen Fall macht der Arbeitgeber mit seiner Weisung das Umkleiden und das Zurücklegen des Weges von der Umkleide- zur Arbeitsstelle zur arbeitsvertraglichen Verpflichtung. Die Notwendigkeit des An- und Ablegens der Dienstkleidung und der damit verbundene Zeitaufwand des Arbeitnehmers beruhen auf der Anweisung des Arbeitgebers zum Tragen der Dienstkleidung während der Arbeitszeit. Daher schuldet der Arbeitgeber Vergütung für die durch den Arbeitnehmer hierfür im Betrieb aufgewendete Zeit.
Innerbetriebliche Wegezeit vom Umkleideraum zum Arbeitsplatz bei Beginn der Arbeit und zurück bei Beendigung der Arbeit ist vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn das Umkleiden nicht direkt am Arbeitsplatz möglich, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet ist, die der Arbeitnehmer zwingend benutzen muss.
Ob Körperreinigungszeiten auch als Arbeitszeit anzusehen sind und vergütet werden müssen, war höchstrichterlich bisher noch nicht geklärt.
Was bislang nur für das An- und Ablegen der vom Arbeitgeber angeordneten Dienstkleidung und die Wegezeit vom Umkleideraum zum Arbeitsplatz galt, gilt jetzt auch für das Waschen bzw. Duschen nach getaner Arbeit, wenn der Nachhauseweg ohne Waschen nicht zumutbar ist. Wer sich nach getaner Arbeit duscht oder wäscht, kann hierfür unter Umständen Vergütung verlangen. Nach dem Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg bestätigt nun auch das Bundesarbeitsgericht (BAG):
Körperreinigung nach der Arbeit ist als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen, wenn sie mit der geschuldeten Arbeitsleistung oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt und deshalb ausschließlich fremdnützig ist.
Das ist auch dann der Fall, wenn sich der Arbeitnehmer bei seiner geschuldeten Arbeitsleistung so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anziehen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Nachhauseweg ohne eine vorherige Reinigung des Körpers im Betrieb nicht zugemutet werden kann.
Containermechaniker fordert Lohnnachzahlung für Umkleide- und Duschzeiten
In dem vom BAG entschiedenen Fall streiten die Parteien über Vergütung für Umkleide, Körperreinigungs- und Wegezeiten eines Arbeitnehmers, der im Rahmen seiner Tätigkeit als Containermechaniker für den beklagten Arbeitgeber vorwiegend Container auf Beschädigungen und Verunreinigungen prüft, reinigt und kleinere Reparaturen (z.B. Abschleifen schadhafter Stellen, Nachlackierung) durchführt.
Zur Arbeitsaufnahme und noch bevor sich der Arbeitnehmer am betrieblichen Zeiterfassungsterminal einloggt und seinen eigentlichen Arbeitsplatz aufsucht, zieht er sich im Umkleideraum des Arbeitgebers bereitgestellte Schutzkleidung an. Während seiner Tätigkeit wird er häufig trotz Schutzkleidung sehr schmutzig. Nach der Arbeit geht er wieder in die Umkleide, legt seine Schutzkleidung, die er gemäß betrieblicher Anordnung zur Reinigung im Betrieb belässt, ab und duscht oder wäscht sich. Umkleide-, Wasch- und Duschzeiten darf er nicht als Arbeitszeit erfassen.
Mit seiner Klage verlangt der Arbeitnehmer rückwirkend für mehrere Jahre Lohnnachzahlungen für Wege-, Umkleide- und Körperreinigungszeiten im Umfang von täglich 55 Minuten.
Der Arbeitgeber hingegen vertritt die Auffassung, dass auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Betriebsvereinbarungen regeln, dass die Arbeitszeit erst am Arbeitsplatz beginnt und dort auch endet, die streitigen Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten außerhalb (vor oder nach) der vergütungspflichtigen Arbeitszeit liegen. Eine Vergütungspflicht soll sich damit auch nicht aus § 611a Abs. 2 BGB herleiten lassen.
Gerichtsverfahren: Entscheidungen von Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht
Arbeitsgericht (ArbG) und Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg gaben der Klage überwiegend statt.
Das ArbG hat der Klage insoweit stattgegeben, dass arbeitstäglich Umkleidezeiten zu Schichtbeginn und -ende mit jeweils fünf Minuten und Körperreinigungszeiten mit zehn Minuten, insgesamt somit 20 Minuten Umkleide- und Körperreinigungszeiten vergütungspflichtig sind.
Die Notwendigkeit des An- und Ablegens der Dienstkleidung und der damit verbundene Zeitaufwand beruhen auf der Anweisung des Arbeitgebers zum Tragen der Dienstkleidung während der Arbeitszeit. Der Arbeitgeber schuldet daher gemäß § 611a Abs. 2 BGB Vergütung für die hierfür im Betrieb aufgewendete Zeit.
Entsprechendes gilt für die erforderliche Körperreinigungszeit nach Schichtende, da der Arbeitnehmer während der Arbeit verschmutzt und es ihm nicht zumutbar ist, ohne vorhergehende Körperreinigung seine Privatkleidung anzulegen oder sich mit der verschmutzten Arbeitskleidung nach Hause zu begeben.
Die Wegezeit innerhalb des Betriebs soll nach Ansicht des ArbG indes nicht vergütungspflichtig sein, da diese unabhängig vom Umkleide- und Reinigungsvorgang steht und Teil des allen Arbeitnehmern obliegenden Arbeitswegs darstellt.
Auf die Berufung des Arbeitnehmers hat das LAG die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und dem Grunde nach einer Vergütung der Wasch- und Umkleidezeit aber auch der innerbetrieblichen Wegezeiten für die Wege von der Umkleide zum Arbeitsplatz zu Beginn des Arbeitstages und vom Arbeitsplatz zur Umkleide am Ende des Arbeitstages zugestimmt und dem Arbeitnehmer insgesamt eine zusätzliche Vergütung für Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten im Umfang von täglich 21 Minuten zugesprochen.
BAG: Wann Körperreinigung vergütungspflichtige Arbeitszeit ist
Wegen der von beiden Parteien jeweils eingelegten Revision landete der Fall dann auch noch beim BAG. Das BAG stellte klar, dass das LAG dem Grunde nach zu Recht von einer Vergütungspflicht für Umkleide-, Wege- und Körperreinigungszeiten gemäß § 611a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgegangen ist.
Umkleidezeiten und Wegezeiten
Die Stattgabe der Klage in Bezug auf Umkleidezeiten sowie Wegzeiten zwischen Umkleide und Arbeitsplatz steht im Einklang mit der gefestigten Rechtsprechung. Zutreffend war bereits das LAG davon ausgegangen, dass sowohl die Umkleidezeiten als auch die innerbetrieblichen Wegezeiten vom Umkleideraum zum Arbeitsplatz und zurück vergütungspflichtige Arbeitszeit sind. An- und Ablegen einer vom Arbeitgeber vorgeschriebenen und nur im Betrieb zu tragenden Dienstkleidung werden ausschließlich fremdnützig für den Arbeitgeber erbracht, denn der Arbeitgeber stellt die Dienstkleidung und weist deren An- und Ablegen an.
Körperreinigungszeiten
Den interessanteren Punkt der Waschzeiten verwies das BAG zwar mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen zurück, gab aber weitreichende Hinweise. Bei den geltend gemachten Körperreinigungszeiten kann es sich grundsätzlich um vergütungspflichtige Arbeitszeit handeln kann, wenn sie mit der Arbeitstätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängen und deshalb ausschließlich der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dienen. Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Nicht jede Verschmutzung oder Verunreinigung führt nämlich dazu, dass das Waschen oder gar Duschen am Ende des Arbeitstages zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehört. Erforderlich ist ein besonderer – mit der Tätigkeit zusammenhängender – Grad der Verschmutzung und/oder Schweißbildung. Geht es bei der Körperreinigung lediglich um die Beseitigung von auch im Privatleben üblichen Verunreinigungen oder Schweiß, liegt als normale Köperpflege eine Befriedigung privater Bedürfnisse vor, welche dann nicht mehr ausschließlich fremdnützig und damit nicht vergütungspflichtig ist.
Eine Vergütungspflicht besteht zum einen, wenn der Arbeitgeber die Reinigung anweist oder arbeitsschutzrechtliche Hygienevorschriften die Körperreinigung nach der Arbeit zwingend fordern. Vergütungspflichtig sind Waschzeiten aber auch dann, wenn die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung mit so starken Verschmutzungen einhergeht, dass dem Arbeitnehmer ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Heimweg ohne eine vorherige Reinigung des Körpers im Betrieb – bei objektiver Betrachtung – nicht zugemutet werden kann.
Im Einzelfall ist zusätzlich zu prüfen, ob tatsächlich das Duschen des (gesamten) Körpers oder lediglich das Waschen besonders verschmutzter Körperteile notwendig ist. Indikator für besondere Verunreinigungen können nach Ansicht des BAG dabei Regelungen der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) über die Arbeit mit geruchsbelästigenden Stoffen, stark schmutzende Tätigkeiten oder besondere klimatische Bedingungen am Arbeitsplatz (Notwendigkeit der Waschräume der Kategorie C nach Anlage 6) sein. Fordern diese Regelungen dagegen nur Waschräume der Kategorien A oder B wird regelmäßig ein Waschen der verschmutzten Körperteile notwendig, aber auch ausreichend sein.
Kein Ausschluss durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung
Die Vergütungspflicht für die streitgegenständlichen Umkleide-, Wege- und Körperreinigungszeiten ist im Fall zudem – was indes grundsätzlich möglich wäre – weder durch Tarifvertrag noch durch Betriebsvereinbarung ausgeschlossen. Aus den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren tarifvertraglichen Regelungen und Betriebsvereinbarungen ergibt sich in Bezug zur betrieblichen Arbeitszeit lediglich, dass sich der Arbeitnehmer zum jeweils festgelegten Arbeitsbeginn in Arbeitskleidung am Arbeitsplatz einfinden muss sowie dass die tägliche Arbeitszeit mit Abschluss der jeweils zugeteilten Arbeit oder der entsprechenden Anweisung des Vorgesetzten endet.
Beweislast für Erforderlichkeit des Duschens
Die vorinstanzliche Entscheidung des LAG war dennoch rechtsfehlerhaft, da das LAG die anfallenden Zeiten in Anlehnung an die Zeiten in der Alten- und Krankenpflege geschätzt und außerdem keine Feststellungen zum Grad der Verschmutzung getroffen hat. Hiervon hängt jedoch ab, ob überhaupt eine Körperreinigung erforderlich war. Die Darlegungs- und Beweislast für das Anfallen entsprechender Zeiten trägt der klagende Arbeitnehmer. Bei Beachtung eines jeweils subjektiven Maßstabs hat der Arbeitnehmer dabei zur Erforderlichkeit der Umkleidezeit und Wegezeit darzulegen, welche Kleidungsstücke er – ggf. differenzierend nach kühlen und warmen Tagen – an- und abzulegen hat und wie viel Zeit er jeweils für den Umkleidevorgang und den Weg im Betrieb benötigt. Darauf muss der Arbeitgeber substantiiert erwidern. Den Parteien stehen die allgemeinen Beweismittel zur Verfügung. Steht die Vergütungspflicht dem Grunde nach fest, kann der Arbeitnehmer jedoch in zeitlicher Hinsicht seiner Darlegungs- und Beweislast nicht in jeder Hinsicht genügen, hat das Gericht eine Schätzung vorzunehmen.
Die vom LAG vorgenommene Schätzung hinsichtlich der Umkleide- und Körperreinigungszeiten war allerdings rechtsfehlerhaft. Ist Beweis angeboten, handelt das Gericht ermessensfehlerhaft, wenn es, anstatt den angebotenen Beweis zu erheben, unmittelbar eine Schätzung vornimmt.
LAG muss neu entscheiden
Das BAG hob daher das Urteil des LAG auf und verwies den Rechtsstreit für weitere Tatsachenfeststellungen zurück. Das LAG muss nun unter anderem nochmal genau prüfen, ob sich der Arbeitnehmer tatsächlich so verschmutzt, dass und wenn ja wie lange das Waschen oder sogar Duschen nach der Arbeit im Betrieb zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehören, und je nach Ergebnis der Beweisaufnahme erneut entscheiden.
Praxishinweis
Die mit dieser Entscheidung erstmals höchstrichterlich getroffene Feststellung, dass Körperreinigungszeiten grundsätzlich zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehören können, ist zu begrüßen, wenngleich sodann klargestellt wird, dass der Umfang und die betriebliche Notwendigkeit (unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeitsleistung) für jeden Einzelfall konkret zu untersuchen ist und stark vom Verschmutzungsgrad und etwaigen Hygienevorschriften abhängt.
Der Umfang der ggf. zu vergütenden Zeiten kann nach der vorliegenden Entscheidung zwar geschätzt werden. Das Gericht wird in solchen Fällen unter Beteiligung der Parteien zunächst die vollständige Aufklärung aller individuell maßgebenden Umstände vornehmen müssen. Nur wenn die Aufklärung zur Bedeutung der Forderung in keinem Verhältnis steht, ist eine Schätzung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO zulässig.
Das BAG hat allerdings auch nochmal darauf hingewiesen, dass die Vergütungspflicht für Körperreinigungszeiten– ebenso wie für Umkleide- und Wegezeiten – durch Tarif- oder Arbeitsvertrag eingeschränkt oder ausgeschlossen werden kann. Demnach sind individual- oder kollektivrechtliche Regelungen zulässig, wonach Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten anders vergütet werden als die „eigentliche“ Arbeit. Besteht hinsichtlich der Erforderlichkeit von Waschzeiten Konfliktpotential, sollte deren Notwendigkeit – ggf. differenziert nach einzelnen Arbeitsplätzen – unter Orientierung an diesen Maßstäben in Betriebsvereinbarungen oder – in Betrieben ohne Betriebsrat – in Arbeitsverträgen oder Anordnungen geregelt werden. Dabei sind auch tarifliche Regelungen zu beachten und einzubeziehen.
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